Leseprobe

Vor vielen Jahren, ich (Siegfried Fritzsche) wollte mit meiner Familie in den Sommerurlaub fahren, bemerkte meine Frau sorgenvoll mein regelmäßiges Trinken, was ich so nicht wahrnahm. Meine Frau empfahl mir, für die ersten Tage des Urlaubs Bier mitzunehmen. Ich war bass erstaunt, denn ich war felsenfest der Meinung, dass ich dies nun wirklich nicht brauchte. Am Urlaubsort angekommen, der Tag verging, der Abend dämmerte. Ich wurde plötzlich unruhig, bekam Ängste, die ich mir nicht erklären konnte. Kurzentschlossen ergriff ich einen im Flur stehenden Plasteeimer und eilte mit traumwandlerischer Sicherheit in die nächste Kneipe. Ich stellte meinen Eimer auf den Tresen und bat den Wirt, ihn mit Bier zu füllen. Er lächelte wissend und füllte mir den Eimer.

Nachdem ich die Gaststätte verlassen hatte, nahm ich unterwegs einen Schluck aus dem Eimer und verspürte einen angenehmen wohltuenden „Ruck“, der durch meinen Körper ging. Alle Ängste waren im Nu verflogen, ich wurde ruhig und ausgeglichen, kurzum die Welt war wieder in Ordnung. Aber ich hatte nun ein großes Problem. Mir wurde bewusst: ich war abhängig. Aber es dauerte noch viele Jahre, bis ich das verinnerlichte und viel länger, bis ich mich entschloss, etwas dagegen zu tun.

Oft war es so, dass ich mir der eigenen Misere durchaus bewusst war. Und doch trank ich wieder Alkohol und nahm Tabletten. Morgen allerdings, da wollte ich mit aller Gewissheit ein neues abstinentes Leben beginnen, aber eben erst morgen.

Heute aber mochte ich mir den Tag noch nicht verderben, denn schließlich, so bildete ich mir ein, konnte ich ja auch kontrolliert trinken, wie viele andere, und ich versuchte es auch (getreu jener Propheten, die heute dem „kontrollierten Trinken“ das Wort reden). Natürlich wurde daraus nichts. Der nächste Tag und die dann folgenden Jahre liefen immer nach dem gleichen Muster ab, bis ich mich auf diese Weise an den Rand meiner Existenz manövrierte.

Mit zunehmendem Suchtmittelgebrauch, also steigendem Alkoholkonsum, kam depressive Verstimmung auf, die ich vorher nicht kannte. Und ich hatte trotz aller medizinischen Vorkenntnisse keine Erklärung dafür. Das Leben wurde freudlos und grau, ich konnte mich zu nichts mehr aufraffen. Den Tagesablauf konnte ich nur mit Mühe bewältigen, und alles wurde zunehmend schwieriger. Fehler unterliefen mir. Quälende Suizidgedanken traten auf. Hinzu kam die ständige Angst, die ärztliche Approbation zu verlieren – ein scheinbar auswegloser Zustand, verbunden mit grenzenlosem Selbstmitleid ohne Hoffnung. Doch eines Tages kam ein Kollege zu mir und versuchte mich für eine Entwöhnungsbehandlung zu motivieren. Ich hielt davon zunächst nichts, hatte ich doch schon mehrere erfolglose stationäre Behandlungen hinter mir. Da es aber nicht so weiter gehen konnte, willigte ich ein, und ich bin dem Kollegen heute noch dankbar, dass er mir zu diesem Schritt verhalf.

 Mir ging es nach wenigen Wochen meiner Abstinenz fast so wie dem treuen Heinrich in dem bekannten Grimm`schen Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“. Der eiserne Ring der Depression, der mich in den langen Jahren der Depression fest im Griff hatte, fiel klirrend zu Boden, ich konnte wieder frei atmen und so mein neues Leben gestalten.

Natürlich löste die Abstinenz auf Anhieb nicht alle Probleme und Ängste, die seit der Kindheit weit in das Erwachsenenalter hineinragen. Aber sie hilft entscheidend, mit ihnen umzugehen und selbstsicher zu werden.